Wurzen gegen Roter Stern: Warum auf jeden dritten Fußballfan ein Polizist kommt

Das Landesklasse-Fußballspiel zwischen Frisch Auf Wurzen und Roter Stern Leipzig wird seit Jahren als Sicherheitsspiel ausgetragen. Am Sonntag war das nicht anders. Doch warum ist das eigentlich so?

Ein Fußballspiel in der siebten Liga wird zum Politikum: ATSV Frisch Auf Wurzen gegen Roter Stern Leipzig. Es ist eine Begegnung, bei der auf jeden dritten Zuschauer ein Polizist kommt. Ein Match, bei dem die Fans der Mannschaften von Security getrennt werden, als träfe RB Leipzig auf Borussia Dortmund. Eine Zitterpartie, bei der sich die Gästekicker gewöhnlich außerhalb des Stadions umziehen.

Für den Wurzener Sportverein ist der seit Jahren wiederkehrende Ausnahmezustand fast schon Normalität. Ansetzungen mit Roter Stern werden regelmäßig zu Hochsicherheitsspielen. Im Vorfeld sind aufwendige Absprachen mit allen Beteiligten nötig. Auch die Wurzener Einwohnerschaft ist in Aufregung. Kritiker schütteln den Kopf. Sie führen den Steuerzahler ins Feld, der alles bezahlen müsse.

Zumindest eines ist an diesem Sonntag anders: Eskortiert von der Polizei, passieren drei Kleinbusse mit den Spielern der Roten Sterne das Stadiontor. Erstmals betreten die Connewitzer ihre Kabine direkt am Sportplatz. Insider werten dies als hoffnungsvolles Zeichen einer vorsichtigen Annäherung. Die Anspannung steht dennoch allen ins Gesicht geschrieben.

Spiel in Wurzen: Sicherheitsspiel der Kategorie 2

ATSV-Präsident Daniel Weist spricht von einem Sicherheitsspiel der Kategorie 2, wie der Sächsische Fußball-Verband sogenannte störanfällige Partien einstuft: „Für die gut 200 Zuschauer halten wir räumlich voneinander getrennte Zugänge vor. Die Wurzener kommen von der Heinrich-Heine-Straße her, unsere Gäste aus Richtung Schwimmhalle.“ An diesem Tag würden zwei Euro Topzuschlag erhoben. Wer unter 1,50 Meter misst, zahlt fünf Euro, der Rest muss sieben Euro entrichten.

Am Ende bedeute das für den Verein dennoch ein Minus-Geschäft, sagt der Frisch-Auf-Chef: „Wir versuchen, vieles über unsere 20 Ordner aus dem Verein abzudecken, müssen dennoch eine 13-köpfige Security-Firma beauftragen – und das kostet.“ Andreas Gartner vom professionellen Sicherheitsdienst 3G Projects hat alles im Griff: Beim Einlass gibt es keinerlei Probleme.

Eckhart Kliebes vom Sicherheitsfachausschuss des Sächsischen Fußball-Verbandes hat ein waches Auge auf die Abläufe. Der Offizielle beobachtet Spiel und Umfeld, wird nach der Partie einen Bericht verfassen. Normalerweise gingen die meisten Spiele im Amateurbereich ganz ohne Kategorie ab, sagt der ehrenamtlich tätige Funktionär.

Kein Zusammenhang zum Brand auf dem Markt

Beinahe wäre die Kategorie noch zusätzlich hochgestuft worden, weiß Conrad Lippert, Sprecher von Roter Stern. Der Anlass: Zeitgleich zu einer Demokratie-Kundgebung am 3. März auf dem Wurzener Markt war nach lautem Knall eine angrenzende Wohnung in Brand geraten. Die Ursache ist noch ungeklärt. Auch rechter Gegenprotest war angemeldet. Ein möglicher Zusammenhang mit dem Fußballspiel am 10. März wurde diskutiert.

Die Polizei ermittelt noch in alle Richtungen. Lippert aber geht davon aus, dass die Rakete die Demokratie-Demo stören sollte und sich zufällig im Balkon eines Wurzener Fußballers verirrte. Der Brand habe nichts mit Fußball zu tun. Davon sind beide Vereine überzeugt.

Und doch sei das Spiel in Wurzen für ihn das heißeste der Saison, betont Lippert und erinnert an jenen traurigen 24. Oktober 2009, als 50 Neonazis in Brandis den Platz gestürmt, dabei Gästefans mit Eisenstangen und Holzlatten attackierten hatten. Es hatte mehrere Schwerverletzte gegeben. Der Fall hatte deutschlandweit für Entsetzen gesorgt. Für die Sterne ist er bis heute ein Trauma.

„Antifaschistisches Sportprojekt“

„Wir sind ein antifaschistisches Sportprojekt“, sagt Conrad Lippert. Jüngst habe der Verein mit seinen rund 1900 Mitgliedern in gut 20 Sportarten 25. Jubiläum gefeiert. Man stehe aktiv gegen Rassismus, Judenhass, Homo- und Transfeindlichkeit. Bei Spielen in Wurzen habe es in den vergangenen Jahren diesbezüglich oft Konflikte gegeben, so Lippert.

Ob antisemitische Schmährufe, Hitlergruß oder Rot-Front-Verrecke-Banner im Stadionumfeld – der Connewitzer Verein thematisiert all das schonungslos. Fußball ist für die Sterne ein gesellschaftliches Event und damit auch politisch. Die Leipziger unterhalten enge Beziehungen zum Wurzener Netzwerk für Demokratische Kultur. Dessen Vereinssitz war 2019 im Nachgang des Spiels Wurzen gegen Roter Stern von zum Teil vermummten Tätern angegriffen worden.

Die erfreuliche Nachricht: Diesmal sind alle Gewinner, auch wenn die Wurzener sportlich Sieger sind (1:0). Denn alles bleibt friedlich. Es habe keine besonderen Vorkommnisse gegeben, sagt Polizeisprecherin Sandra Freitag auf LVZ-Nachfrage. Lediglich eine Gruppe Jugendlicher habe in der Heinrich-Heine-Straße eine Informationstafel beschmiert und eine Straßenlaterne mit Aufklebern verunziert.

Lutz Hoffmann kickt mit seinem Sohn in Stadionnähe. Er wünscht sich, dass Sport nicht zum Spielball der Ideologien werde. „Fußball soll Menschen verbinden“, sagt er. Auch Frisch-Auf-Präsident Weist setzt darauf. Er distanziert sich von Extremismus jeder Art. Als Veranstalter internationaler Jugendfußballturniere gehe sein Verein mit gutem Beispiel voran.

Es sind auch die vielen Wurzener Helfer, die an diesem Sonntag für fast schon entspannte Momente sorgen. Carola Petersitzke, Sebastian Flügel und Jan Jentzsch beköstigen die Gäste mit Rostern. Nach dem Spiel werden sowohl die Sterne-Fans als auch die Leipziger Kicker von der Polizei aus der Stadt geleitet. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass es irgendwann ohne Eskorte funktioniert.


Heiko Henschel 09.03.2024

Brisanz auf und neben dem Platz: Frisch Auf Wurzen empfängt Roter Stern Leipzig

Die Partie gilt als Sicherheitsspiel. Dennoch soll das Sportliche im Vordergrund stehen. Allerdings kam es erst in der vergangenen Saison zu Vorfällen. Roter Stern kündigt „antifaschistische Aktion“ an.

Hoffentlich wird das Sportliche im Vordergrund stehen! Am Sonntag um 13.30 Uhr treffen in einer Nachhole-Begegnung der Fußball-Landesklasse Nord der ATSV Frisch Auf Wurzen und Roter Stern Leipzig auf dem Sportgelände an der Heinrich-Heine-Straße aufeinander. Dreizehnter gegen Neunter, aber lediglich drei Zähler voneinander getrennt, beide brauchen im Ringen um den Klassenerhalt noch viele weitere von dieser Sorte. Allerdings wurde das Match in der Vergangheit auch von unschönen Aktionen neben dem Platz begleitet.

Frisch Auf-Präsident Daniel Weist betont die eminente Wichtigkeit des Matches: „Bei unter Umständen sechs Absteigern brauchen wir wirklich jeden Punkt. Die Mannschaft weiß, um was es geht.“ Allerdings wurzelt die Brisanz der Begegnung nicht ausschließlich im tobenden Abstiegskampf, sondern leider ebenfalls in ihren wenig angenehmen Randerscheinungen. Seit Jahr und Tag werden die Partien des linksgerichteten Connewitzer Vereins in die Kategorie „Sicherheitsspiel“ eingeordnet. Für den Amateurbereich (7. Liga) eigentlich untypische Begleitumstände wie eine starke Polizeipräsenz, höhere Anzahl an Ordnungskräften, strikte Trennung der Fangruppen, Abgrenzung der Zuschauerblöcke, unterschiedliche Eingangszonen sind längst zur standardisierten Normalität geworden.

ATSV rüstet sich für reibungslosen Ablauf

Weist erläutert die aktuellen Zusammenhänge: „Das Spiel ist Sicherheitsstufe 2, genau so wie in den vergangenen Jahren. Die bereits im November vor dem ersten Anlauf durchgeführte Online-Konferenz mit Polizei und Verband ist kürzlich aktualisiert worden. Wir bereiten uns bestens vor, tun alles Mögliche für einen reibungslosen Ablauf“, so der ATSV-Vorsitzende. Wurzen scheint nämlich im Staffel-Ranking ohnehin eines der heißeren Pflaster zu sein, weil der lebenswerten Ringelnatzstadt an der schönen Mulde nicht erst seit gestern ein leicht braun gefärbter Anstrich nachgesagt wird. Nach Meinung ihrer hier gern beheimateten Einwohner sowie der die zahlreichen Sehenswürdigkeiten zu schätzen wissenden Gäste aus nah und fern ein absolut ungerechtfertigtes Vorurteil.

Welches selbstverständlich den vielen sich ehrenamtlich in den Vereinen einbringenden Menschen erst recht nicht schmecken kann. Gerade der ATSV Frisch Auf mit seiner intensiven und engagierten Nachwuchsarbeit steht nicht zuletzt als Veranstalter von internationalen Jungendturnieren für Toleranz und Vielfalt. Alle Vereinsmitglieder, Familienangehörige, Freunde und Bekannte freuen sich auf ein unterhaltsames und spannendes Fußballspiel bei frühlingshaften Witterungsbedingungen. Ganz einfach auf einen angenehmen Sonntag.

Roter Stern kündigt „antifaschistische Aktion“ an

Dennoch darf nicht unterschlagen werden, dass es es in der Vergangenheit zu unschönen Szenen neben dem Platz kam. So soll während des Gastspiels der Leipziger im Mai vergangenen Jahres auf Seiten der Wurzener Fans ein Hitlergruß gezeigt worden sein. Die Gastgeber wiederum warfen den Connewitzer Anhängern Vandalismus vor.

Übrigens kündigt Roter Stern in den sozialen Medien die Partie als „antifaschistische Aktion“ an, nachdem das Match vergangene Woche in Zwenkau schlicht als „Auswärtsspiel“ bezeichnet wurde. Lässt das tief blicken? Deshalb der eindringliche Appell an sämtliche Beteiligte: Es ist Fußball, keine Politik. Wurzen gegen Roter Stern Leipzig. Hoffentlich wird das Sportliche im Vordergrund stehen!


Johannes David 22.05.2023

Partie zwischen Wurzen und Roter Stern Leipzig sorgt für Aufsehen: Gab es einen Hitlergruß?

Polizei ermittelt: Zeigte ein Zuschauer während der Landesklasse-Partie den Hitlergruß? Frisch Auf Wurzen wehrt sich, beklagt Vandalismus der Gästefans und will sich die Kosten von Roter Stern erstatten lassen.

Die Nebengeräusche der Partie zwischen Frisch Auf Wurzen und Roter Stern Leipzig haben den sportlichen Aspekt deutlich übertönt. Angeblich soll während des Spiels der Fußball-Landesklasse Nord ein Zuschauer den Hitlergruß gezeigt haben. Die Polizei ermittelt. Die Gastgeber beklagen derweil das Verhalten der Leipziger Fans, samt Vandalismus, und wollen sich die Kosten erstatten lassen. Kosten- und personalintensiv waren auch die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Begegnung der 7. Liga.

„Während des Spiels gab es einen Hinweis auf das Zeigen eines Hitlergrußes von Seiten der Heimfans“, teilte die Polizeidirektion Leipzig auf LVZ-Nachfrage mit. Dieser Vorwurf sei nun in Prüfung. Dazu werde Video- und Bildmaterial ausgewertet.

Nach der Partie war zudem eine Spontandemo unter dem Thema „Rotfront zerschlagen“ angemeldet worden. Dabei kam es laut Polizei zu „verbalen Auseinandersetzungen zwischen Heim- und Gästefans“, die aber nichts „strafrechtlich Relevantes“ enthalten hätten. An- und Abreise der Fans seien jeweils störungsfrei verlaufen.

Im Vorfeld als „störanfälliges Spiel“ eingeordnet

Auch ein Spielbeobachter vom Sächsischen Fußball-Verband (SFV) war vor Ort. „Wir konnten dort nichts Auffälliges beobachten, auch von Seiten beider Mannschaften wurde nichts an uns herangetragen“, sagte Staffelleiter Volkmar Beier. Nun werden alle Erkenntnisse gemeinsam mit Polizei und Sicherheitsdienst ausgewertet.

Um die Dimensionen zu verstehen, helfen einige Fakten. Im Vorfeld war die Partie als Sicherheitsspiel der Kategorie 2 (störanfälliges Spiel) eingeordnet worden. 100 Beamte der Polizei sicherten die Partie ab. Dazu waren zwölf Ordner von privaten Securityfirmen sowie „20 bis 25 vereinseigene“ Ordner im Einsatz, wie Frisch Auf mitteilt. Offiziell kamen 234 Zuschauer, darunter 50 Anhänger der Gäste. Beide Fanlager wurden penibel voneinander getrennt.

Wurzen will gegen Roter Stern vorgehen

„Sollte es wirklich einen Hitlergruß gegeben haben, werden wir dem nachgehen. Aber wir können nun auch nicht jedem Zuschauer einen Ordner an die Seite stellen“, sagt Frisch-Auf-Präsident Daniel Weist, der die Gesamtsituation gleichwohl scharf kritisiert. „Roter Stern sucht immer irgendetwas und provoziert. Das beginnt bei permanenten Schmähgesängen und endet in Zerstörungen und Vandalismus. Das ist kein sportlich faires Verhalten.“

Deswegen wollen laut Vereinspräsident nun die Wurzener ihrerseits gegen Roter Stern vorgehen. Reparaturen von zerstörten Werbebanden, das Beseitigen „von überall verteilten“ Aufklebern wolle man dem Leipziger Kiez-Club in Rechnung stellen. Angaben zu den Kosten konnte Weist am Montag noch nicht machen, schickte aber eine Ankündigung hinterher: „Sollten wir das Geld von Roter Stern nicht bekommen, werden wir Strafanzeige stellen.“ Dabei sei das Spiel an sich insgesamt gut organisiert und von beiden Seiten ruhig gewesen. Bei den Leipzigern wiederum war am Montag zunächst niemand für eine offizielle Stellungnahme zu erreichen.

„Aufwand nicht nachzuvollziehen“

Anfang des Jahres hatte Einheit Frohburg mit Verweis auf den hohen organisatorischen Aufwand auf das Heimspiel gegen Roter Stern verzichtet, dafür eine Geldstrafe sowie eine Niederlage am „Grünen Tisch“ in Kauf genommen. Daniel Weist kann diese Entscheidung durchaus nachvollziehen. „Solch ein Aufwand in der 7. Liga ist nicht nachzuvollziehen.“ Im Normalfall seien bei einem Wurzener Heimspiel drei Ordner im Einsatz „und das war’s“.

In diesem Fall habe die Planung schon zwei Wochen vorher begonnen. Sie umfasste Absprachen mit Polizei, Stadt, Verband, Roter Stern und der Security. Zudem wurden Bauzäune aufgestellt, um die Fantrennung zu gewährleisten. Allein die externen Sicherheitsleute kosten den Verein etwa 1500 Euro, so Weist. „Da gehen wir aus solch einem Spiel trotz der hohen Zuschauerzahl und dementsprechenden Einnahmen beim Catering nicht mal mit einer schwarzen Null heraus.“ Die Schäden durch den Vandalismus sind in dieser Kalkulation noch nicht mitgerechnet.

Nun wird sich nicht nur der finanzielle Aufwand mutmaßlich noch vergrößern. Die Ermittlungen der Polizei wegen des mutmaßlichen Hitlergrußes werden so schnell nicht abgeschlossen sein. Nur eines wird sich nicht ändern: das sportliche Ergebnis der Partie. Sie endete 3:0 für Wurzen.